In diesem Beitrag erfährst du, warum du oft viel weniger Aufwand in eine Sache investieren solltest und am Ende trotzdem mindestens zum gleichen Ergebnis kommst.
Ich kann nicht steppen. Denn wenn ich in einen Steppkurs ginge, würde ja auffallen, dass ich nicht steppen kann und dann merken ja alle, dass ich nicht steppen kann. Darum steppe ich nicht.
Diese Ganzodergarnicht-Strategie wirkt in diesem simplen Beispiel ziemlich dämlich – ist sie auch. Warum streben wir in allen Bereichen ständig die 100 % an?
Das perfekte Auftreten, die perfekte Präsentation, das perfekte Leben?
Die 100 % zu erreichen und zu halten ist ziemlich anstrengend und diese Erwartung an Andere oder vor allem an uns selbst hindert uns daran, neue spannende Themen anzupacken.
Wenn ich hingegen nur ein paar Grundschritte steppen könnte, dann könnte ich schon mehr als die meisten anderen und wenn ich ein wenig am Ball bleiben würde, könnte ich ein Großteil meines Bekanntenkreises beeindrucken – nur einen Stepp-Profi aus Irland würde ich vielleicht nicht sonderlich begeistern, aber falls ich den mal irgendwann treffe, kann ich das verschmerzen.
Das heißt zusammengefasst: Mit wenig Aufwand (z.B. 20 %) könnte ich womöglich einen Großteil (80%) von meinen Steppkünsten überzeugen („ja, wir wissen langsam, dass du steppen kannst, hör bitte auf!“).
„Yeah, mein Auftritt“ ruft das gute alte Pareto-Prinzip aus der Ecke, „ich hab’s doch schon immer gesagt, mit 20% Aufwand kannst du 80% des Ergebnisses erreichen!!“ und weiter mit wissenden Blick: „Um die restlichen 20 % zu schaffen, brauchst du ungemein mehr Aufwand (80%)“.
Diese 80-zu-20 Regel könnt ihr in allen einschlägigen Online-Lexika nachlesen, daher spare ich mir an dieser Stelle die Grunddefinition, Herkunft, wissenschaftliche Studien etc. – auch wenn sie für die 100 % diesen Artikels vonnöten wären. Ich denke, ihr ahnt inzwischen, auf was ich hinaus will: Nicht immer sind die vermeintlichen 100% auch sinnvoll.
Aber nochmals von Vorne: Egal ob es jetzt 20 oder 13,5 % sind, ich persönlich finde, das Parteo-Prinzip – heruntergebrochen auf die einfache Regel: „Mit wenig Aufwand einen Großteil erreichen, mit wesentlich mehr Aufwand die Sache perfekt machen“ – lässt sich in fast allen Bereichen anwenden:
Denken wir an unsere Schulzeit zurück: Die Zeugnisnote 3 in einem Fach zu erzielen, war machbar. Hatte man einmal eine 5 kassiert, war diese mit einer 2 schon wieder halbwegs auszubügeln. Die Schulnote 1 zu halten verzieh einem jedoch keinen einzigen Ausrutscher. Einmal die Note 3 eingesammelt und die „sehr gut“ war quasi fast futsch.
Genauso ist es beispielsweise bei Präsentationen: Das Grobkonzept ist ziemlich schnell erstellt – wenn es an den Feinschliff geht, dann kostet es umso mehr Aufwand, bis alle Kästchen im gleichen Format auf einer Ebene liegen.
Aber warum muss es überhaupt die Schulnote 1 sein? Und verbessert eine Schickimicki-Hochglanzpräsentation wirklich die Grundaussage des Vortrages?
Wenn du dir folgende zwei Punkte zu eigen machst, dann kannst du in Zukunft viel ineffektive Zeit sparen, versprochen:
#1 – 100% sind subjektiv – was erwartet dein Gegenüber?
#2 – Hinterfrage bei jeder Tätigkeit den Nutzen und setze die 100% wohldosiert ein
#1 – 100% sind subjektiv – was erwartet dein Gegenüber?
Jeder Mensch hat eine andere Messlatte. Das hat meiner Meinung nach viel mit Erfahrungen und eigenen Talenten zu tun. Überlege bzw. finde heraus, ob deine 100% nicht in den Augen anderer eine 120 % entsprechen. Diese Überlegung ist ziemlich hilfreich, denn natürlich kann es auch sein, dass der Fokus deines Gegenübers auf einem ganz anderen Aspekt liegt.
Beispiel: Du verwendest sehr viel Aufwand, um ein Konzept zu erarbeiten. 100 Seiten hast du geschrieben, dazu vollständig Argumente eingeholt. Die Präsentation floppt, weil dein Chef das „Warum“ wissen will und nicht das „Wie“. Diesen Punkt hast du nicht aufgeführt, weil er für dich selbstverständlich ist. Damit wären wir auch beim zweiten Punkt:
#2 – Hinterfrage bei jeder Tätigkeit den Nutzen und setze die 100% wohldosiert ein
Frage dich kritisch bei jedem Punkt, welchen Nutzen das bringt, was du gerade tust. Wie trägt dieser Punkt dazu bei, ein bestimmtes Ziel zu erreichen? Du kannst beispielsweise gerne jeden Tag bis 20 Uhr im Büro sitzen, um zu zeigen, dass du dich reinhängst. Aber wirklich entscheidend ist letztendlich das Ergebnis selbst, nicht der Aufwand mit dem du dieses Ergebnis erreicht hast. Stell dir also vor, du erstellst oben genanntes Konzept. Du hast viele Wochen daran gearbeitet und deine 100 Seiten fertiggestellt. Bei der Präsentation stellt sich heraus, dass dir die Erwartungshaltung deines Chefs oder noch schlimmer, eines Kundens, nicht klar war und dass du in eine völlig falsche Richtung gelaufen bist. Eine unnötige Zeitverschwendung und ziemlich ärgerlich obendrein. Hättest du zu Beginn ein Grobkonzept erstellt und dann dazu ein Feedback eingeholt, hättest du dir viel Arbeit und Emotionen ersparen können.
Noch besser, du stimmst dich in kurzen Zeitabständen ab und holst dir Feedback ein, so kannst du auch auf sich verändernde Rahmenbedingungen oder neue Erkenntnisse reagieren.
Kommt dir das irgendwie bekannt vor? Klingt verdächtig nach SCRUM, Lean Startup & Co.
Und genau hier komme ich hart und abrupt zum Fazit (auch wenn mir schöne ausladende Überleitungen wichtig sind, wollt ihr diese vielleicht gar nicht..):
Wenn du deine Einstellung zu den 100 % nicht überdenkst, dann hast du in agilen Projekten keine Chance. Denn hier ist weder die Erwartung an die 100 % noch die tagelange Arbeit im stillen Kämmerlein erforderlich und wird auch nicht honoriert. Wichtig ist die Konzentration auf das Wesentliche und eine Akzeptanz, dass sich Ziele und Inhalte ändern können und dass das auch gut so ist. Denn mit jeder Iterationsstufe bekommst du neue Erkenntnisse, die dich viel weiter bringen als ein wochenlang im Stillen erarbeitetes Konzept, das du bis aufs Blut verteidigst, weil du eben viel Arbeit reingesteckt hast. Wie du dich von liebgewonnenen Herzensprojekten lösen kannst, erfährst du übrigens hier.
Das Schöne ist, du hast dadurch mehr Zeit, dass du die frei gewordene Zeit in die wenigen Punkte stecken kannst, bei denen die 100 % sinnvoll investiert sind – z.B. bei der Abschlusspräsentation eines großen Kundenprojektes oder dafür, dass die Zahlen des Projektbudgets stimmen.
Und das Leben machst du dir mit dieser Einstellung auch leichter, es funktioniert in vielen weiteren Bereichen wie Sport, Haushalt, Hobbies und Garten. Probier’s aus!
Warnhinweis am Ende: Natürlich gibt es auch Bereiche, in denen man die 80-20-Regel her nicht anwenden sollte, z.B. im Straßenverkehr oder auch beim Zahlen von Steuern.
… und das Steppen lasse ich übrigens doch sein, weil es mir persönlich für meine Ziele keinen Nutzen bringt 😉